Im Jahr 2008 wurde mein ganzes Leben wie ich es bisher kannte, durcheinander gebracht. Jeder Tag war geprägt von Schmerzen und unzählbar vielen Aufenthalten in Wartezimmern. Bis endlich die Diagnose kam: Swyer-James-Syndrom.
Wenn ich an die Zeit zurückdenke, in der ich gemeinsam mit den Ärzten nach meiner Krankheit gesucht habe, kann ich kaum glauben, dass es über ein Jahr gedauert hat und ich nebenbei mein Abitur geschrieben habe. Die letzten Schuljahre sind einfach nur an mir vorbei gerast wie ein Zug ohne Halt. Alles woran ich mich bis heute erinnern kann, sind die zahlreichen Arzttermine und Untersuchungen vor und nach der Schule, die vielen Tränen und das mangelnde Verständnis Außenstehender. Das ist meine Geschichte.
Der Schmerz
Tränen des Schmerzes stiegen mir schlagartig in die Augen und die eisige Winterluft, die ich zuvor problemlos eingeatmet hatte, erreichte kaum mehr meine Lunge.
Es war einer dieser tristen Berliner Wintertage kurz nach Silvester 2008. Ich war seit September auf einer neuen Schule um mein Abitur zu absolvieren, nachdem ich zuvor ein Schuljahr im Süden Frankreichs verbracht hatte. Ein paar Tage bevor es nun wieder in die Schule gehen sollte, gönnte ich mir einen entspannten Tag in der Sauna. Alles war einfach perfekt: der Schnee auf der Spree, den man von der Sauna aus sehen konnte und die heißen Temperaturen, die mich die eisige Kälte vor der Tür vergessen ließen.
Als ich komplett erholt und dick eingepackt auf die Straße hinaus trat, wusste ich noch nicht, dass ein paar Minuten später mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt werden würde. Ich war gerade auf dem Weg zur S-Bahn, um nach Hause zu meinen Eltern zu fahren, als mich auf einmal ein Schmerz von nie da gewesener Stärke durchfuhr. Ich hatte nur an der Ampel gestanden und gewartet, dass sie auf grün umspringt, als mein Oberkörper mit einem Ruck nach rechts sackte und dort verharrte. Tränen des Schmerzes stiegen mir schlagartig in die Augen und die eisige Winterluft, die ich zuvor problemlos eingeatmet hatte, erreichte kaum mehr meine Lunge. Nachdem ich mich von dem ersten Schock erholt hatte, lief ich langsam und schwer atmend zur S-Bahn. Jeder Schritt die kurze Treppe zum Bahnsteig hinauf fühlte sich an, als wäre ich zuvor einen Marathon gelaufen.
Zu Hause angekommen, erzählte ich meinen Eltern von meinem Erlebnis. Während ich versuchte den Schmerz mit Inbrunst zu beschreiben, bemerkte ich wie sich in ihren Gesichtern Sorge und ein Hauch Belustigung abzeichneten. Fairer Weise muss man dazu sagen, dass ich noch immer nach rechts geneigt dastand und dem Glöckner von Notre-Dame hätte Konkurrenz machen können.
Da es bereits Samstagabend war und wir davon ausgingen, dass es sich vermutlich um eine Entzündung des Rippenfells oder Ähnliches handeln musste, versuchte ich mich das restliche Wochenende auszuruhen. Ich würde das Thema einfach am Montag direkt beim Hausarzt abklären lassen.
Montagmorgen - der Ärztemarathon beginnt
Die erste Januarwoche im neuen Schuljahr verbrachte ich nicht wie geplant in der Schule, sondern in diversen Warteräumen. Nachdem ich direkt am Montag zu meinem Hausarzt gegangen war, attestierte mir dieser, dass es sich mit aller Wahrscheinlichkeit um eine Entzündung des Rippenfells handeln würde. Ich bekam eine Art Korsett, das ich von nun an rund um die Uhr tragen sollte. Zudem ordnete er an, dass ich meinen Pulmologen, bei dem ich seit ich denken konnte wegen meines Asthmas in Behandlung war, direkt im Anschluss aufsuchen sollte. Er wisse am Besten wie man mit dieser Thematik umzugehen habe.
Gesagt, getan. Noch am gleichen Tag konsultierte ich meinen Pulmologen, der sich kurz Zeit nahm, um sich meine Sorgen anzuhören und entschied, ich solle ein Röntgenbild anfertigen lassen, damit wir schauen können, ob es sich tatsächlich um eine Rippenfellentzündung handle. Zusammen mit meinem Vater ging ich somit direkt weiter zur Radiologie, die mich am übernächsten Tag dazwischen schob und das vom Arzt angeordnete Bild anfertigte. Nachdem wir so lange im Wartezimmer der Radiologie gesessen hatten bis alle anderen Patienten bereits gegangen waren, sprachen wir die Radiologie-Assistenten an, ob sie mich vergessen hätten. Die Assistentin schüttelte den Kopf und bat uns noch einmal Platz zu nehmen. "Komisch, oder?", fragte ich meinen Vater. "Warum geben sie uns nicht einfach die Bilder und wir können gehen?". Noch bevor er antworten konnte, kam eine Dame im weißen Kittel auf uns zu und nahm direkt vor uns Platz. Ein eigenartiges Gefühl stieg in mir auf. War es doch ernster als eine Rippenfellentzündung? Waren meine Rippen auf wundersame Weise gebrochen? Die Ärztin riss mich jäh aus meinen Gedanken. "Es tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten. Wir haben uns die Bilder in Ruhe angesehen und auch noch einmal mit anderen Kollegen Rücksprache gehalten. Ihre Lunge weist einen, sagen wir, untypisch hellen Bereich auf der linken Seite auf. Sehen Sie hier.", sie hielt uns das Röntgenbild entgegen. "Normalerweise, sollte dieser Bereich hier dunkel sein." "Und was bedeutet das?", fragte mein Vater. "Nun ja, wir gehen davon aus, dass es sich nicht um eine klassische Rippenfellentzündung handelt. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Ihre Tochter die Schmerzen in der rechten Seite beschreibt. Der helle Bereich befindet sich jedoch auf der linken Seite. Wir müssen davon ausgehen, dass die Schmerzen also einen anderen Ursprung haben." Das Gespräch flog an mir vorbei. Ich war nicht sicher, ob ich die Frau im weißen Kittel richtig verstehe. War ich nun krank? Oder hatte ich zwei verschiedene Probleme? Mein Vater schien unbeirrt folgen zu können: "Was bedeutet das nun? Woher können die Schmerzen kommen?" Die Ärztin schaute uns kurz an, als wäge sie ihre Antwort genau ab. "Wir haben bereits Ihren Pulmologen informiert. Er kann Ihnen alles im Detail erklären. Was ich Ihnen allerdings sagen kann, ist, dass dieser Bereich", sie zeigte auf den hellen, linken Lungenflügel, "nicht richtig durchblutet wird und somit die Funktionalität eingeschränkt ist. Dieser Zustand scheint allerdings nicht erst seit einigen Tagen vorzuherrschen und muss auch bereits auf früheren Aufnahmen zu sehen sein. Ich bitte Sie daher mit aller Dringlichkeit dies mit Ihrem Pulmologen zu besprechen. Er sagte uns am Telefon, dass Sie gern direkt in seine Praxis gehen können."
Der Pulmologe
" Sowieso ist es nicht möglich, dass Sie diese Schmerzen haben. Sie sind viel zu jung..."
Die Nachricht war noch gar nicht richtig verdaut und schon saßen mein Vater und ich bei meinem Pulmologen. Einem mittelgroß gewachsenen, drahtigen Mitfünfziger, der die ihm vorgelegten Unterlagen mit Bedacht studierte.
Seit mehr als fünf Jahren war ich bereits bei ihm in Behandlung und der quartalsweise Gang zum Lungenfacharzt gehörte für mich dazu wie für andere die Milch zum morgendlichen Müsli. In den letzten Jahren war ich meist nicht mehr in Begleitung meiner Eltern zu ihm gegangen und empfand die Minuten, die ich in seinem Behandlungsraum verbrachte, stets als endlos und mehr als unangenehm.
Nun saß ich wieder in Begleitung meines Vaters vor dem Mann, der wohl des Rätsels Lösung kannte. "Ausgeprägte Hypertransparenz des linken Mittel- und Oberfeldes...", las er etwas nuschelnd vor. Er schaute auf und heftete seine Augen auf mich. "Sagten Sie nicht, dass Sie Schmerzen in der rechten Seite hätten?" Seinem bohrenden Blick standhaltend, bejahte ich. "Nun ja, rechts ist alles gut. Und ich sehe gerade, dass Sie ja sowieso noch einen CT-Termin übermorgen haben.", er hielt kurz inne und musterte uns. "Sowieso ist es nicht möglich, dass Sie diese Schmerzen haben. Sie sind viel zu jung und die Lunge verursacht keinerlei Schmerzen. Gehen Sie zum CT-Termin und danach schauen wir uns den Befund an. Auf Wiedersehen!"
Noch bevor wir uns versahen, standen mein Vater und ich bereits vor seinem Behandlungsraum. Schulterzuckend und ratlos verließen wir die Praxis.
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