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Außer Atem. Der Kampf um jeden Atemzug.

Im Frühjahr 2010 stand ich kurz vor meinem Abitur. Nach anderthalb Jahren Ärztemarathon war ich endlich in Behandlung eines Arztes, der mir nicht nur glaubte, sondern auch meine Krankheit kannte. Um meine Lunge wieder aufzubauen, sollten mir im Anschluss an meine Prüfungen drei Segmente meines linken, oberen Lungenflügels entfernt werden. Das war der Plan. Mein Körper entschied sich jedoch anders.


English version below


Der Chefarzt


Mein Vater und ich saßen im Wartebereich der Lungenabteilung des Berliner Emil von Behring Krankenhauses. Wir hatten kurzfristig einen Termin beim Chefarzt der Klinik erhalten, der sich sehr für meine Krankheit interessierte. Das erste Mal nach langer Zeit war ich tatsächlich wieder aufgeregt einem neuen Arzt gegenüber zu treten.

Der Wartebereich zog sich wie ein langer Schlauch. Von jedem Stuhl aus war man nahezu gezwungen einen Blick auf den Bildschirm an der Wand zu werfen, der pausenlos Kameraaufnahmen von Bronchoskopien und Segmentektomien von Lungen zeigten. So unangenehm diese Aufnahmen für mich waren, so schwer viel es mir dennoch meinen Blick von ihnen zu lösen. Ich fragte mich pausenlos, ob mir das jetzt auch bevor stehen würde und ob man mit einer kleineren Lunge überhaupt weiterleben könnte. Mein Vater und ich waren beide still und hingen unseren Gedanken nach. Wir warteten recht lange, mein Vater stand von Zeit zu Zeit auf und lief im Wartezimmer auf und ab. Außer uns war niemand hier.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurden wir endlich aufgerufen. Der Arzt, dem wir gegenüber saßen, betrachtete mich mit leuchtenden Augen. "Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen. Ihr Fall ist überaus spannend. Ich habe bereits mit einigen Kollegen dazu gesprochen. Es kommt nicht häufig vor, dass wir das Swyer-James-McLeod-Syndrom hier behandeln. Wissen Sie, die Krankheit ist wirklich sehr selten", er hielt inne und lies seinen Blick auf mir ruhen. "Aber keine Sorge, wir werden Ihren Beschwerden Abhilfe schaffen." Mein Vater lächelte hoffnungsvoll und fragte, noch etwas verhalten, wie genau das denn möglich wäre. In den darauffolgenden 20 Minuten erklärte uns der Chefarzt der Klinik ausführlich welche Auswirkungen das Syndrom auf meine Lunge hatte und welche Möglichkeiten es gäbe meinem reduzierten Lungenvolumen entgegenzuwirken. Seiner Ansicht nach war ein chirurgischer Eingriff unumgänglich und wir sollten auch nicht länger als nötig damit warten. Ich erklärte, dass ich mitten in den Prüfungen meines Abiturs steckte und unmöglich jetzt Zeit für eine OP hatte. Er lachte. "Natürlich werden wir Sie nicht jetzt sofort operieren. Wir werden den OP-Termin auf den Zeitraum nach Ihren Prüfungen legen, sodass Sie sorgenfrei Ihr Abitur absolvieren können. Zudem müssen wir noch einige vorbereitende Untersuchungen durchführen."


Wir verließen die Klinik mit einem Stapel an Überweisungen. Auf dem Weg zum Auto wechselten mein Vater und ich kaum ein Wort. Erst, als ich in meinen Sitz gesunken war, fiel alles von mir ab: die Anspannung der letzten anderthalb Jahre, die Wut über meine Lehrer, die mir wieder und wieder unterstellt hatten, ich simuliere; als auch mein Schmerz, der noch immer jeden Tag bestimmte. Ich rang mit den Tränen und versuchte in meinem Kopf alle Gedanken und Informationen zu sortieren. Noch bevor ich meine Sprache wieder gefunden hatte, griff mein Vater nach meiner Hand und drückte sie. Sein Blick wechselte immer wieder zwischen mir und der Straße. "Endlich", sagte er mit fester Stimme. "Endlich haben wir jemanden gefunden, der dir helfen kann."


Und doch kam alles anders


Die folgenden Wochen vergingen nahezu wie im Flug. Zwischen den Prüfungsvorbereitungen versuchte ich alle Arzttermine, die für die OP wichtig waren, wahrzunehmen. Mit jedem Termin kamen immer mehr Informationen ans Licht, die zeigten, weshalb ich mich so lange mit den Schmerzen geplagt hatte.

Anfang Juni hatte ich bis auf eine mündliche Prüfung und einen letzten MRT-Termin, alles hinter mich gebracht. Ich beschloss daher endlich mal wieder etwas "Normales" zu unternehmen und Zeit mit Gleichaltrigen zu verbringen. Nachdem ich den Vormittag am See gelegen und mit meinen Freunden über die letzten Prüfungen und den anstehenden Abiball gesprochen hatte, trat ich nun den Heimweg an. Ich musste zu Hause kurz meine Unterlagen holen und meine Badesachen ablegen, da ich noch einen MRT-Termin im St. Hedwig Krankenhaus hatte. Meinen letzten MRT-Termin! Im Krankenhaus angekommen, durfte ich direkt in den Untersuchungsraum und erhielt die Anweisungen, die ich mittlerweile schon auswendig konnte. Ich legte mich ruhig auf die Liege und ging gedanklich noch einmal meine Karteikarten durch, die ich mir für die mündliche Prüfung in der nächsten Woche zusammengestellt hatte. "Jetzt bitte die Luft anhalten", sagte die mechanisch klingende Stimme der MRT-Mitarbeiterin. Ich hielt die Luft an, wobei ein stechender Schmerz durch meinen linken Oberkörper fuhr. Beinahe im gleichen Moment hörte ich leise Stimmen und meine Liege wurde aus der Röhre gefahren. Um mich herum standen mehrere Schwestern und Ärztinnen, die mich aus großen Augen anblickten. Hatte ich gerade etwas falsch gemacht und die Luft nicht richtig angehalten? Noch während ich darüber nachdachte, setzte eine junge Frau in weißem Kittel an: "Geht es Ihnen gut?" Da ich keine Antwort hervorbrachte, sondern weiter verdutzt in die Gesichter über mir schaute, fuhr sie fort: "Wir mussten das MRT leider abbrechen. Bitte setzen Sie sich doch einmal aufrecht hin, dann kann ich Ihnen alles in Ruhe erklären." Ich folgte Ihrer Anweisung. "Wir müssen Sie leider hierbehalten, da Ihre Lunge komplett zusammengefallen ist. Bekommen Sie genug Luft?" Ich bejahte und erklärte, dass ich seit mehr als einem Jahr schwer Luft bekäme, das also normal für mich sei. Sie schaute mich traurig an. "Nun ja, Ihr Zustand ist kritisch. Ihr linker Lungenflügel ist kollabiert. Es ist ein Wunder, dass Sie so ansprechbar hier sitzen und mit uns reden können. Wir müssen Ihnen eine Drainage legen und dafür würde ich Sie bitten, direkt in die Notaufnahme zu gehen. Wir haben Sie bereits angekündigt und man wird Sie sofort versorgen." Ich fing an zu lachen. Die Ärztin sah mich ratlos an. Als ich ihr, noch immer lachend, erklärte, dass das nicht möglich sei und ich doch nächste Woche noch eine Prüfung zu absolvieren hätte und danach meine OP anstünde, legte sie Ihre Hand auf meine Schulter. "Wir können Sie leider auf keinen Fall gehen lassen. Es besteht Lebensgefahr. Es ist sowieso ein Wunder, dass Sie hier so fit stehen." Zwar hörte ich, was sie mir sagte, aber dennoch verstand ich kein Wort. Ich lachte einfach immer weiter. "Sie stehen unter Schock. Sind Ihre Eltern im Warteraum?" Ich schüttelte den Kopf. "Sollen wir Sie informieren?" Ich lehnte dankend ab und sagte, dass ich meine Eltern anrufen würde. Als ich aus dem Untersuchungsraum trat, hatte ich mich ein bisschen beruhigt und griff zu meinem Handy. "Mama, weißt du was? Ich soll hier im Krankenhaus bleiben." Wieder begann ich zu lachen. "Sie sagen es besteht Lebensgefahr."


Außer Atem


Nachdem ich in der Notaufnahme angekommen war, hörte das Lachen auf. Auf einmal wurde alles Realität. Eine Realität, die mir Angst machte. Ein junger Pfleger wies mir einen Stuhl zu auf dem ich Platz nahm und legte mir direkt einen Zugang. "Ich habe gehört, was dir passiert ist und es tut mir sehr leid." Ich schaute ihn an und Tränen stiegen in meine Augen. "Was passiert denn jetzt mit mir?", fragte ich ihn. Er erklärte mir, dass er keine genauen Informationen hätte. Ich würde gleich weiter zu einem Arzt gebracht werden, der sich um die Drainage kümmern würde. "Was ist denn eine Drainage? Wird das wehtun?" Ich erhielt keine Antwort. Stattdessen sah er mich mitleidig an.


Rückblickend verstand ich, dass in seinem Blick die Antwort auf meine Frage lag. Als ich nun vor dem Arzt saß, der mir eine Drainage legen sollte, hatten sich meine Gedanken wieder geordnet. Er erklärte mir, dass er die Zeit gerade genutzt hatte und sich meine Akte angesehen und mit meinem Pulmologen Rücksprache gehalten hatte. Mein linker Lungenflügel war komplett kollabiert und er hatte die Vermutung, dass dies schon länger der Fall gewesen sein musste. Die letzten Aufnahmen meiner Lunge waren sehr auffällig. Er erklärte mir alles in Ruhe. "Normalerweise treten diese Pneumothoraxe vorrangig bei jungen Männern auf. Hinzu kommt, dass dieser Riss und die Ansammlung von Flüssigkeit im Pleuraspalt Sie das Leben hätten kosten können. Aber machen Sie sich keine Sorgen, wir legen Ihnen nun eine Bülow-Drainage und bauen den Lungenflügel somit wieder auf."

Noch bevor ich wirklich verstand, was er mir hier erklärte, lag ich bereits auf einem OP-Tisch.





Diesen Teil meiner Geschichte kann ich hier leider nicht erzählen. Für mich gehörten die Minuten im OP-Saal, in denen mir die Drainage gelegt wurde, zu den schlimmsten und schmerzhaftesten Momenten, die ich jemals erlebt habe. Bis heute kann ich nicht davon sprechen, ohne in Tränen auszubrechen.







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Hier geht es zum 4. Teil meiner Story.

 

English version*


Breathless. The fight for every breath.


In spring 2010 I was about to graduate. After a year and a half of medical marathon, I was finally treated by a doctor who not only believed me but also knew my illness. In order to rebuild my lungs, three segments of my upper left lung should be removed after my exams. That was the plan. However, my body decided differently.


The chief doctor My father and I sat in the waiting area of ​​the pulmonary department of Emil von Behring Hospital in Berlin. We had a short appointment with the clinic's chief doctor, who was very interested in my illness. For the first time in a long time, I was actually excited to see a new doctor again. The waiting area stretched like a long hose. From every chair, one was almost forced to take a look at the screen on the wall, which consistently showed camera recordings of bronchoscopes and segmentectomies of lungs. As uncomfortable as these pictures were for me, it was so difficult for me to take my eyes off them. I kept asking myself whether I would face that now and whether you could live on with a smaller lung at all. My father and I were both silent and pondering our thoughts. We waited a long time, my father got up from time to time and paced the waiting room. No one was here except us. After what felt like an eternity, we were finally called upon. The doctor we were facing was looking at me with shining eyes. "I am very happy to meet you. Your case is extremely exciting. I have already spoken to a few colleagues about this. It is not uncommon for us to treat Swyer-James-McLeod syndrome here. You know, the disease is real very rare ", he paused and let his eyes rest on me. "But don't worry, we'll resolve your complaints." My father smiled hopefully and asked, a little cautiously, how exactly that would be possible. In the following 20 minutes, the head doctor of the clinic explained to us in detail what effects the syndrome had on my lungs and what options there were to counteract my reduced lung volume. In his opinion, surgery was essential and we shouldn't wait any longer than necessary. I explained that I was in the middle of my high school exams and couldn't possibly have time for an operation now. He laughed. "Of course, we will not operate on you right now. We will postpone the operation date to the period after your exams so that you can graduate from high school without any worries. We also have to do some preparatory examinations." We left the clinic with a stack of referrals. My father and I barely exchanged a word on the way to the car. Only when I had sunk into my seat did everything fall away from me: the tension of the past year and a half, the anger at my teachers, who had reported to me over and over again, I simulate; as well as my pain that still determined every day. I struggled with tears and tried to sort out all thoughts and information in my head. Before I found my language again, my father grabbed my hand and squeezed it. His eyes kept changing between me and the street. "Finally," he said firmly. "We have finally found someone who can help you."


And yet everything turned out differently The following weeks passed almost as if in flight. In between preparations for the exam, I tried to keep track of all the doctor's appointments that were important for the operation. With each appointment, more and more information came to light that showed why I had been plagued with the pain for so long. At the beginning of June, I got everything over with the exception of an oral exam and a final MRI appointment. So I finally decided to do something "normal" again and spend time with my peers. After lying on the lake in the morning and talking to my friends about the last exams and the upcoming graduation ball, I now headed home. I had to briefly get my documents at home and take off my bathing suit because I still had an MRI appointment at St. Hedwig Hospital. My last MRI appointment! When I arrived at the hospital, I was allowed to go straight to the examination room and received the instructions that I could already memorize. I lay down calmly on the couch and mentally went through my index cards that I had put together for the oral exam the next week. "Now hold your breath," said the mechanical-sounding voice of the MRI employee. I held my breath, a sharp pain going through my left torso. At almost the same moment I heard soft voices and my couch was pulled out of the tube. There were several nurses and doctors around me who looked at me with wide eyes. Did I just do something wrong and couldn't hold my breath properly? While I was thinking about it, a young woman in a white coat started: "Are you okay?" Since I didn't get an answer, but continued to look at the faces above me, puzzled, she continued: "Unfortunately we had to abort the MRI. Please sit up straight and I can explain everything to you in peace." I followed your instructions. "Unfortunately, we have to keep you here because your lungs have completely collapsed. Are you getting enough air?" I answered in the affirmative and explained that it had been difficult to breathe air for more than a year, which is normal for me. She looked at me sadly. "Well, your condition is critical. Your left lung has collapsed. It's a miracle that you can sit here so responsibly and talk to us. We need to drain you and I would ask you to go straight to the emergency room We have already announced you and you will be taken care of immediately. " I started to laugh. The doctor looked at me helplessly. When I explained to her, still laughing, that this was not possible and that I still had to take an exam next week and then had to do my surgery, she put her hand on my shoulder. "Unfortunately we cannot let you go. There is a risk to life. It is a miracle that you are so fit here anyway." I heard what she said to me, but I still didn't understand a word. I just kept laughing. "You're in shock. Are your parents in the waiting room?" I shook my head. "Shall we inform you?" I thankfully declined and said that I would call my parents. When I stepped out of the examination room, I calmed down a bit and picked up my cell phone. "Mom, you know what? I'm supposed to stay here in the hospital." I started laughing again. "They say there is a risk to life."


Breathless After I got to the emergency room, the laughter stopped. Suddenly everything became a reality. A reality that scared me. A young nurse assigned me a chair on which I took a seat and immediately set myself an entrance. "I heard what happened to you and I'm very sorry." I looked at him and tears rose in my eyes. "What's going to happen to me now?" I asked him. He told me that he had no precise information. I would be taken to a doctor who would take care of the drainage. "What is drainage? Will it hurt?" I didn't get an answer. Instead, he looked at me pityingly. Looking back, I understood that the answer to my question was in his eyes. When I sat in front of the doctor, who was supposed to drain me, my thoughts were in order again. He explained to me that he had just used the time and looked at my file and consulted my pulmologist. My left lung was completely collapsed and he suspected that this had been the case for a long time. The last pictures of my lungs were very noticeable. He explained everything to me in peace. "Normally, these pneumothoraxes occur primarily in young men. In addition, this tear and the accumulation of fluid in the pleural space could have cost you your life. But don't worry, we will now place a Bülow drainage and build the lung thus again. " Before I really understood what he was explaining to me, I was already on an operating table. Unfortunately I cannot tell this part of my story here. For me, the minutes in the operating room in which the drainage was placed were among the worst and most painful moments I have ever experienced. To this day I cannot speak of it without bursting into tears.



Wann read the next chapter?

Here you go.


*Google translation





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